Sadistische Einzeltäter oder Kollektivschuld eines ganzen Standes? 5O Jahre Berichterstattung über NS- Verbrechen von Ärzten in Spiegel und Zeit

Diplomarbeit von Arnd Schweizer ( Hannover, 15.8.1997)

Aus dem Vorwort:
“Mediziner spritzten Eiter in die Beine von KZ-Häftlingen, sie kastrierten Frauen und Männer mit Röntgenstrahlen. Zum Tode Verurteilte erfroren in eiskaltem Wasser oder starben in der Unterdruckkammer – alles im Namen der Wissenschaft. Am 20. August 1947 verurteilte der 1. Amerikanische Militärgerichtshof Ärzte und Funktionäre des Dritten Reiches wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Fast 50 Jahre später gedenkt der 99. Deutsche Ärztetag im Juni 1996 der Opfer der nationalsozialistischen Medizin – erstmals im Sinne einer umfassenden Schulderklärung. Spät ist die Reue, für viele der Mißhandelten und Getöteten kommt sie zu spät.
„Naturwissenschaftler interessieren sich nicht für die Geschichte ihrer Wissenschaft“ 1 schreibt der Molekulargenetiker Benno Müller-Hill 1984. Doch nicht nur Forscher verdrängten ihre Geschichte. 1952 sagte der Philosoph und Theologe Romano Guardini in der Universität Tübingen über die NS-Euthanasie:
„Es ist ein Anlaß zur tiefsten Beunruhigung, wie wenig dem deutschen Volk zu Bewußtsein gekommen ist, was sich da eigentlich zugetragen hat und was das Geschehen für seine, des deutschen Volks ganze Existenz bedeutet.“ 2
Sich zu erinnern ist mühsam, sowohl für Täter als auch für die Opfer. Seit dem Nürnberger Ärzteprozeß sind 50 Jahre vergangen. Dieser Zeitraum ist nicht nur ein Stück Zeitgeschichte. Er zeigt auch, ob und wie das Vergangene bewältigt wird. Ganz entscheidend sind dabei die Massenmedien. Als „vierte Gewalt“ obliegt ihnen die Aufgabe, Verborgenes sichtbar zu machen, Verdrängtes ans Licht zu bringen. Doch gelingt ihnen das? Greifen sie Themen frühzeitig auf, oder sind sie nicht auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, die nicht sehen und nicht hören will?
Diese Arbeit möchte zeigen, auf welche Weise NS-Verbrechen von Ärzten – und damit ein Stück Vergangenheit – in den Medien aufgearbeitet werden.
Journalisten eröffnen der breiten Öffentlichkeit den wesentlichen Zugang zu geschichtlichem Wissen und historischen Perspektiven, schreibt Regina Holler3.
50 Jahre Zeitgeschichte werden so auch 50 Jahre Geschichts-Publizistik.”
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1 Müller-Hill, Benno: Tödliche Wissenschaft. Auszug aus dem gleichnamigen Buch in der ZEIT vom 13.7.1984, S. 45.
2 Zitiert nach Strothmann, Dietrich: Wo Gerechtigkeit ihre Grenzen hat. ZEIT vom 8.6.1984, S. 23-24.
3 Holler, Regina: 20 Juli 1944, Vermächtnis oder Alibi? München, Saur 1994 (=Kommunikation und Politik; Bd. 26), S. 7.



Die vollständige Diplomarbeit >>> http://www.redaktion-medizin.de/img/dipl_as.pdf

Erziehung nach Auschwitz • Theodor W. Adorno 1966

Theodor W. Adorno • Erziehung nach Auschwitz

Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.
Dass man aber die Forderung, und was sie an Fragen aufwirft, so wenig sich bewusst macht, zeigt, dass das Ungeheuerliche nicht in die Menschen eingedrungen ist, Symptom dessen, dass die Möglichkeit der Wiederholung, was den Bewusstseins- und Unbewusstseinsstand der Menschen anlangt, fortbesteht. Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem einen gegenüber, dass Auschwitz nicht sich wiederhole.
Es war die Barbarei, gegen die alle Erziehung geht. Man spricht vom drohenden Rückfall in die Barbarei. Aber er droht nicht, Auschwitz war er; Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern. Das ist das ganze Grauen. Der gesellschaftliche Druck lastet weiter, trotz aller Unsichtbarkeit der Not heute. Er treibt die Menschen zu dem Unsäglichen, das in Auschwitz nach weltgeschichtlichem Maß kulminierte. Unter den Einsichten von Freud, die wahrhaft auch in Kultur und Soziologie hineinreichen, scheint mir eine der tiefsten die, dass die Zivilisation ihrerseits das Antizivilisatorische hervorbringt und es zunehmend verstärkt. Seine Schriften „Das Unbehagen in der Kultur“ und „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ verdienten die allerweiteste Verbreitung gerade im Zusammenhang mit Auschwitz. Wenn im Zivilisationsprinzip selbst die Barbarei angelegt ist, dann hat es etwas Desperates, dagegen aufzubegehren.
Die Besinnung darauf, wie die Wiederkehr von Auschwitz zu verhindern sei, wird verdüstert davon, dass man dieses Desperaten sich bewusst sein muss, wenn man nicht der idealistischen Phrase verfallen will. Trotzdem ist es zu versuchen, auch angesichts dessen, dass die Grundstruktur der Gesellschaft und damit ihre Angehörigen, die es dahin gebracht haben, heute die gleichen sind wie vor 25 Jahren. Millionen schuldloser Menschen – die Zahlen zu nennen oder gar darüber zu feilschen, ist bereits menschenunwürdig – wurden planvoll ermordet. Das ist von keinem Lebendigen als Oberflächenphänomen, als Abirrung vom Lauf der Geschichte abzutun, die gegenüber der großen Tendenz des Fortschritts, der Aufklärung, der vermeintlich zunehmenden Humanität nicht in Betracht käme. Dass es sich ereignete, ist selbst Ausdruck einer überaus mächtigen gesellschaftlichen Tendenz. Ich möchte dabei auf eine Tatsache hinwei- sen, die sehr charakteristisch in Deutschland kaum bekannt zu sein scheint, obwohl ein Bestseller wie „Die 40 Tage des Musa Dagh“ von Werfel seinen Stoff daraus zog. Schon im ersten Weltkrieg haben die Türken – die so genannte jungtürkische Bewegung unter der Führung von Enver Pascha und Talaat Pascha – weit über eine Million Armenier ermorden lassen. Höchste deutsche militärische und auch Regierungsstellen haben offensichtlich davon gewusst, aber es strikt geheim gehalten. Der Völkermord hat seine Wurzel in jener Resurrektion des angriffslustigen Nationalismus, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern sich zutrug.

Man wird weiter die Erwägung nicht von sich abweisen können, dass die Erfindung der Atombombe, die buchstäblich mit einem Schlag Hunderttausende auslöschen kann, in denselben geschichtlichen Zusammenhang hineingehört wie der Völkermord. Die sprunghafte Bevölkerungszunahme heute nennt man gern Bevölkerungsexplosion: es sieht so aus, als ob die historische Fatalität für die Bevölkerungsexplosion auch Gegenexplosionen, die Tötung ganzer Bevölkerungen, bereit hätte. Das nur, um anzudeuten, wie sehr die Kräfte, gegen die man angehen muss, solche des Zuges der Weltgeschichte sind.

Da die Möglichkeit, die objektiven, nämlich gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen, die solche Ereignisse ausbrüten, zu verändern, heute aufs äußerste beschränkt ist, sind Versuche, der Wiederholung entgegenzuarbeiten, notwendig auf die subjektive Seite abgedrängt. Damit meine ich wesentlich auch die Psychologie des Menschen, die so etwas tut. Ich glaube nicht, dass es viel hülfe, an ewige Werte zu appellieren, über die gerade jene, die für solche Untaten anfällig sind, nur die Achseln zucken würden; glaube auch nicht, Aufklärung darüber, welche positiven Qualitäten die verfolgten Minderheiten besitzen, könnte viel nutzen. Die Wurzeln sind in den Verfolgern zu suchen, nicht in den Opfern, die man unter den armseligsten Vorwänden hat ermorden lassen. Nötig ist, was ich unter diesem Aspekt einmal die Wendung aufs Subjekt genannt habe. Man muss die Mechanismen erkennen, die die Menschen so machen, dass sie solcher Taten fähig werden, muss ihnen selbst diese Mechanismen aufzeigen und zu verhindern trachten, dass sie abermals so werden, indem man ein allgemeines Bewusstsein solcher Mechanismen erweckt. Nicht die Ermordeten sind schuldig, nicht einmal in dem sophistischen und karikierten Sinn, in dem manche es heute noch konstruieren möchten.

Schuldig sind allein die, welche besinnungslos ihren Hass und ihre Angriffswut an ihnen ausgelassen haben. Solcher Besinnungslosigkeit ist entgegenzuarbeiten, die Menschen sind davon abzubringen, ohne Reflexion auf sich selbst nach außen zu schlagen. Erziehung wäre sinnvoll überhaupt nur als eine zu kritischer Selbstreflexion. Da aber die Charaktere insgesamt, auch die, welche im späteren Leben die Untaten verübten, nach den Kenntnissen der Tiefenpsychologie schon in der frühen Kindheit sich bilden, so hat Erziehung, welche die Wiederholung verhindern will, auf die frühe Kindheit sich zu konzentrieren. Ich nannte Ihnen Freuds These vom Unbehagen in der Kultur. Sie ist aber umfassender noch, als er sie verstand; vor allem, weil unterdessen der zivilisatorische Druck, den er beobachtet hat, sich bis zum Unerträglichen vervielfachte. Damit haben auch die Tendenzen zur Explosion, auf die er aufmerksam machte, eine Gewalt an- genommen, die er kaum absehen konnte. Das Unbehagen in der Kultur hat jedoch – was Freud nicht verkannte, wenn er dem auch nicht konkret nachging – seine soziale Seite. Man kann von der Klaustrophobie der Menschheit in der verwalteten Welt reden, einem Gefühl des Eingesperrtseins in einem durch und durch vergesellschafteten, netzhaft dicht gesponnenen Zusammenhang. Je dichter das Netz, desto mehr will man heraus, während gerade seine Dichte verwehrt, dass man heraus kann. Das verstärkt die Wut gegen die Zivilisation. Gewalttätig und irrational wird gegen sie aufbegehrt.

Ein Schema, das in der Geschichte aller Verfolgungen sich bestätigt hat, ist, dass die Wut gegen die Schwachen sich richtet, vor allem gegen die, welche man als gesellschaftlich schwach und zugleich – mit Recht oder Unrecht – als glücklich empfindet.
Soziologisch möchte ich wagen, dem hinzuzufügen, dass unsere Gesellschaft, während sie immer mehr sich integriert, zugleich Zerfallstendenzen ausbrütet. Diese Zerfallstendenzen sind, dicht unter der Oberfläche des geordneten, zivilisatorischen Lebens, äußerst weit fortgeschritten. Der Druck des herrschenden Allgemeinen auf alles Besondere, die einzelnen Menschen und die einzelnen Institutionen, hat eine Tendenz, das Besondere und Einzelne samt seiner Widerstandskraft zu zertrümmern. Mit ihrer Identität und ihrer Widerstandskraft büssen die Menschen auch die Qualitäten ein, kraft deren sie es vermöchten, dem sich entgegenzustemmen, was zu irgendeiner Zeit wieder zur Untat lockt. Vielleicht sind sie kaum noch fähig zu widerstehen, wenn ihnen von etablierten Mächten befohlen wird, dass sie es abermals tun, solange es nur im Namen irgend- welcher halb- oder gar nicht geglaubter Ideale geschieht.

Spreche ich von der Erziehung nach Auschwitz, so meine ich zwei Bereiche: einmal Erziehung in der Kindheit, zumal der frühen; dann allgemeine Aufklärung, die ein geistiges, kulturelles und gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht zulässt, ein Klima also, in dem die Motive, die zu dem Grauen geführt haben, einigermaßen bewusst wer- den. Ich kann mir selbstverständlich nicht anmaßen, den Plan einer solchen Erziehung auch nur im Umriss zu entwerfen. Aber ich möchte wenigstens einige Nervenpunkte bezeichnen. Vielfach hat man – etwa in Amerika – den autoritätsgläubigen deutschen Geist für den Nationalsozialismus und auch für Auschwitz verantwortlich gemacht. Ich halte diese Erklärung für zu oberflächlich, obwohl bei uns, wie in vielen anderen Ländern, autoritäre Verhaltensweisen und blinde Autorität viel zäher überdauern, als man es unter Bedingungen formaler Demokratie gern wahr hat. Eher ist anzunehmen, dass der Faschismus und das Entsetzen, das er bereitete, damit zusammenhängen, dass die alten, etablierten Autoritäten des Kaiserreichs zerfallen, gestürzt waren, nicht aber die Menschen psychologisch schon bereit, sich selbst zu bestimmen. Sie zeigten der Freiheit, die ihnen in den Schoß fiel, nicht sich gewachsen. Darum haben dann die Autoritätsstrukturen jene destruktive und – wenn ich so sagen darf – irre Dimension angenommen, die sie vorher nicht hatten, jedenfalls nicht offenbarten. Denkt man daran, wie Besuche irgendwelcher Potentaten, die politisch gar keine reale Funktion mehr haben, zu ekstatischen Ausbrüchen ganzer Bevölkerungen führen, so ist der Verdacht wohl begründet, dass das autoritäre Potential nach wie vor weit stärker ist, als man denken sollte.

Ich möchte aber nachdrücklich betonen, dass die Wiederkehr oder Nichtwiederkehr des Faschismus im entscheidenden keine psychologische, sondern eine gesellschaftliche Frage ist. Vom Psychologischen rede ich nur deshalb soviel, weil die anderen, wesentlicheren Momente dem Willen gerade der Erziehung weitgehend entrückt sind, wenn nicht dem Eingriff des Einzelnen überhaupt.
Vielfach wird von Wohlmeinenden, die nicht möchten, dass es noch einmal so komme, der Begriff der Bindung zitiert. Dass die Menschen keine Bindung mehr hätten, sei verantwortlich für das, was da vorging. Tatsächlich hängt der Autoritätsverlust, eine der Bedingungen des sadistisch- autoritären Grauens, damit zusammen. Für den gesunden Menschenverstand ist es plausibel, Bindungen anzurufen, die dem Sadistischen, Destruktiven, Zerstörerischen Einhalt tun durch ein nachdrückliches „Du sollst nicht“. Trotzdem halte ich es für eine Illusion, dass die Berufung auf Bindung oder gar die Forderung, man solle wieder Bindungen eingehen, damit es besser in der Welt und in den Menschen aus- schaue, im Ernst frommt.

Die Unwahrheit von Bindungen, die man fordert, nur damit sie irgend etwas – und sei es auch Gutes – bewirken, ohne dass sie in sich selbst von den Menschen noch als substantiell erfahren werden, wird sehr rasch gefühlt. Erstaunlich, wie prompt selbst die törichtsten und naivsten Menschen reagieren, wenn es ums Aufspüren von Schwächen des Besseren geht. Leicht werden die so genannten Bindungen entweder zum Gesinnungspass – man nimmt sie an, um sich als ein zuverlässiger Bürger auszuweisen – oder sie produzieren gehässige Rancune, psychologisch das Gegenteil dessen, wofür sie aufgeboten werden. Sie bedeuten Heteronomie, ein sich abhängig machen von Geboten, von Normen, die sich nicht vor der eigenen Vernunft des Individuums verantworten. Was die Psychologie Über-Ich nennt, das Wissen, wird im Namen von Bindung durch äußere, unverbindliche, auswechselbare Autoritäten ersetzt, so wie man es nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches auch in Deutschland recht deutlich hat beobachten können. Gerade die Bereitschaft, mit der Macht es zu halten und äußerlich dem, was stärker ist, als Norm sich zu beugen, ist aber die Sinnesart der Quälgeister, die nicht mehr aufkommen soll. Deswegen ist die Empfehlung der Bindung so fatal. Menschen, die sie mehr oder minder frei- willig annehmen, werden in eine Art von permanentem Befehlsnotstand versetzt. Die einzig wahrhafte Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie, wenn ich den Kantischen Ausdruck verwenden darf; die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen.

Mich hat einmal eine Erfahrung sehr erschreckt: ich las auf einer Reise an den Bodensee eine badische Zeitung, in der über das Sartre-Stück „Tote ohne Begräbnis“ berichtet wurde, das die furchtbarsten Dinge darstellt. Dem Kritiker war das Stück offensichtlich unbehaglich. Aber er hat dies Unbehagen nicht mit dem Grauen der Sache, die das Grauen unserer Welt ist, erklärt, sondern hat es so gedreht, dass wir gegenüber einer Haltung wie der Sartres, der damit sich abgebe, doch – ich möchte beinahe sagen – einen Sinn für etwas Höheres hätten: dass wir die Sinnlosigkeit des Grauens nicht anerkennen könnten. Kurz: der Kritiker wollte sich durch edles existentielles Gerede der Konfrontation mit dem Grauen entziehen. Nicht zuletzt darin liegt die Gefahr, dass es sich wiederhole, dass man es nicht an sich herankommen lässt und den, der auch nur davon spricht, von sich wegschiebt, als wäre er, wofern er es ungemildert tut, der Schuldige, nicht die Täter.

Beim Problem von Autorität und Barbarei drängt sich mir ein Aspekt auf, der im allgemeinen kaum beachtet wird. Auf ihn verweist eine Bemerkung in dem Buch „Der SS-Staat“ von Eugen Kogon, das zentrale Einsichten zu dem gesamten Komplex enthält und das von der Wissenschaft und Pädagogik längst nicht so absorbiert wird, wie es absorbiert zu werden verdiente. Kogon sagt, die Quälgeister des Konzentrationslagers, in dem er selbst Jahre verbracht hat, seien zum größten Teil jüngere Bauernsöhne gewesen. Die immer noch fortdauernde kulturelle Differenz von Stadt und Land ist eine, wenn auch gewiss nicht die einzige und wichtigste, der Bedingungen des Grauens. Jeder Hochmut gegenüber der Landbevölkerung ist mir fern. Ich weiss, dass kein Mensch etwas dafür kann, ob er ein Städter ist oder im Dorf groß wird. Ich registriere dabei nur, dass wahrscheinlich die Entbarbarisierung auf dem platten Land noch weniger als sonst wo gelungen ist. Auch das Fernsehen und die anderen Massenmedien haben wohl an dem Zustand des mit der Kultur nicht ganz Mitgekommenseins nicht allzu viel geändert. Mir scheint es richtiger, das auszusprechen und dem entgegenzuwirken, als sentimental irgendwelche besonderen Qualitäten des Landlebens, die verloren zu gehen drohen, anzupreisen.
Ich gehe so weit, die Entbarbarisierung des Landes für eines der wichtigsten Erziehungsziele zu halten. Sie setzt allerdings ein Studium des Bewusstseins und Unbewusstseins der Bevölkerung dort voraus. Vor allem auch wird man sich zu beschäftigen haben mit dem Aufprall der modernen Massenmedien auf einen Bewusstseinsstand, der den des bürgerlichen Kulturliberalismus des 19. Jahrhunderts längst noch nicht erreicht hat.

Um diesen Zustand zu verändern, dürfte das normale, auf dem Land vielfach sehr problematische Volksschulsystem nicht ausreichen. Ich dächte an eine Reihe von Möglichkeiten. Eine wäre – ich improvisiere -, dass Fernsehsendungen geplant werden unter Berücksichtigung von Nervenpunkten jenes spezifischen Bewusstseinszustands. Dann könnte ich mir vorstellen, dass etwas wie mobile Erziehungsgruppen und – kolonnen von Freiwilligen gebildet werden, dass sie aufs Land fahren und in Diskussionen, Kursen und zusätzlichem Unterricht versuchen, die bedrohlichsten Lücken auszufüllen. Ich verkenne dabei freilich nicht, dass solche Menschen sich schwerlich sehr beliebt machen werden. Aber es wird dann doch ein kleiner Kreis um sie sich bilden, der anspricht, und von dort könnte es vielleicht ausstrahlen.
Kein Missverständnis allerdings sollte darüber aufkommen, dass die archaische Neigung zur Gewalt auch in städtischen Zentren, gerade in den großen, sich findet. Regressionstendenzen – will sagen, Menschen mit verdrückt sadistischen Zügen – werden von der gesellschaftlichen Gesamttendenz heute überall hervorgebracht. Dabei möchte ich an das verquere und pathogene Verhältnis zum Körper erinnern, das Horkheimer und ich in der „Dialektik der Aufklärung“ dargestellt haben. Überall dort, wo Bewusstsein verstümmelt ist, wird es in unfreier, zur Gewalttat neigender Gestalt auf den Körper und die Sphäre des Körperlichen zurückgeworfen. Man muss nur bei einem bestimmten Typus von Ungebildeten einmal darauf achten, wie bereits ihre Sprache – vor allem, wenn irgendetwas ausgesetzt oder beanstandet wird – ins Drohende übergeht, als wären die Sprachgesten solche von kaum kontrollierter körperlicher Gewalt. Hier müsste man wohl auch die Rolle des Sports studieren, die von einer kritischen Sozialpsychologie wohl noch kaum zureichend erkannt wurde. Der Sport ist doppeldeutig: auf der einen Seite kann er antibarbarisch und antisadistisch wirken durch Fair Play, Ritterlichkeit, Rücksicht auf den Schwächeren. Andererseits kann er in manchen seiner Arten und vor allem in Personen, die nicht selbst der Anstrengung und Disziplin des Sports sich aussetzen, sondern bloß zusehen; in jenen, die auf dem Sportfeld zu brüllen pflegen. Solche Doppeldeutigkeit wäre systematisch zu analysieren. Soweit Erziehung darauf Einfluss hat, wären die Ergebnisse aufs Sportleben anzuwenden.
All das hängt mehr oder weniger mit der alten autoritätsgebundenen Struktur zusammen, mit Verhaltensweisen – ich hätte beinah gesagt – des guten alten autoritären Charakters. Was aber Auschwitz hervorbringt, die für die Welt von Auschwitz charakteristischen Typen, sind vermutlich ein Neues. Sie bezeichnen auf der einen Seite die blinde Identifikation mit dem Kollektiv. Auf der anderen sind sie danach zugeschnitten, Massen, Kollektive zu manipulieren, so wie die Himmler, Höss, Eichmann.
Für das Allerwichtigste gegenüber der Gefahr einer Wiederholung halte ich, der blinden Vormacht aller Kollektive entgegenzuarbeiten, den Widerstand gegen sie dadurch zu steigern, dass man das Problem der Kollektivierung ins Licht rückt.
Das ist nicht so abstrakt, wie es angesichts der Leidenschaft gerade junger, dem Bewusstsein nach progressiver Menschen, sich in irgend etwas einzugliedern, klingt.
Anknüpfen ließe sich an das Leiden, das die Kollektive zunächst allen Individuen, die in sie aufgenommen werden, zufügen. Man braucht nur an die eigenen ersten Erfahrungen in der Schule zu denken. Anzugehen wäre gegen jene Art folkways, Volkssitten, Initiationsriten jeglicher Gestalt, die einem Menschen physischen Schmerz – oft bis zum Unerträglichen – antun als Preis dafür, dass er sich als Dazugehöriger, als einer des Kollektivs fühlen darf. Das Böse von Gebräuchen wie die Rauhnächte und das Haberfeldtreiben und wie derlei beliebte bodenständige Sitten sonst heißen mögen, ist eine unmittelbare Vorform der nationalsozialistischen Gewalttat. Kein Zufall, dass die Nazis solche Scheußlichkeiten unter dem Namen „Brauchtum“ verherrlicht und gepflegt haben. Die Wissenschaft hätte hier eine höchst aktuelle Aufgabe. Sie könnte die Tendenz der Volkskunde, die von den Nationalsozialisten begeistert beschlagnahmt wurde, energisch umwenden, um dem zugleich brutalen und gespenstischen Überleben dieser Volksfreuden zu steuern.

In dieser gesamten Sphäre geht es um ein vorgebliches Ideal, das in der traditionellen Erziehung auch sonst eine erhebliche Rolle spielt, das der Härte. Es kann auch noch, schmachvoll genug, auf einen Ausspruch von Nietzsche sich berufen, obwohl er wahrhaft etwas anderes meinte. Ich erinnere daran, dass der fürchterliche Boger während der Auschwitz-Verhandlung einen Ausbruch hatte, der gipfelte in einer Lobrede auf Erziehung durch Disziplin durch Härte. Sie sei notwendig, um den ihm richtig erscheinenden Typus vom Menschen hervorzubringen. Dies Erziehungsbild der Härte, an das viele glauben mögen, ohne darüber nachzudenken, ist durch und durch verkehrt. Die Vorstellung, Männlichkeit bestehe in einem Höchstmass an Ertragenkönnen, wurde längst zum Deckbild eines Masochismus, der – wie die Psychologie dartat – mit dem Sadismus nur allzu leicht sich zusammenfindet. Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte, die er verdrängen musste. Dieser Mechanismus ist ebenso bewusst zu machen wie eine Erziehung zu fördern, die nicht, wie früher, auch noch Prämien auf den Schmerz setzt und auf die Fähigkeit Schmerzen auszuhalten. Mit anderen Worten: Erziehung müsste Ernst machen mit einem Gedanken, der der Philosophie keineswegs fremd ist: dass man die Angst nicht verdrängen soll. Wenn Angst nicht verdrängt wird, wenn man sich gestattet, real so viel Angst zu haben, wie diese Realität Angst verdient, dann wird gerade dadurch doch manches von dem zerstörerischen Effekt der unbewussten und verschobenen Angst verschwinden.

Menschen, die blind in Kollektive sich einordnen, machen sich selber schon zu etwas wie Material, löschen sich als selbstbestimmte Wesen aus. Dazu passt die Bereitschaft, andere als amorphe Masse zu behandeln. Ich habe die, welche sich so verhalten, in der „Authoritarian Personality“ den manipulativen Charakter genannt, und zwar zu einer Zeit, als das Tagebuch von Höss oder die Aufzeichnungen von Eichmann noch gar nicht bekannt waren.
Meine Beschreibungen des manipulativen Charakters datieren auf die letzten Jahre des 2. Weltkrieges zurück. Manchmal vermögen Sozialpsychologie und Soziologie Begriffe zu konstruieren, die erst später ganz sich bewahrheiten.

Der manipulative Charakter – jeder kann das aus den Quellen kontrollieren, die über jene Naziführer zur Verfügung stehen – zeichnet sich aus durch Organisationswut, durch Unfähigkeit, überhaupt unmittelbare menschliche Erfahrungen zu machen, durch eine gewisse Art von Emotionslosigkeit, durch überwertigen Realismus. Er will um jeden Preis angebliche, wenn auch wahnhafte Realpolitik betreiben. Er denkt oder wünscht nicht eine Sekunde lang die Welt anders, als sie ist, besessen vom Willen of doing things, Dinge zu tun, gleichgültig gegen den Inhalt solchen Tuns. Er macht aus der Tätigkeit, der Aktivität, der sogenannten efficiency als solcher einen Kultus, der in der Reklame für den aktiven Menschen anklingt. Dieser Typ ist unterdessen – wenn meine Beobachtungen mich nicht trügen und manche soziologische Untersuchungen Verallgemeinerung gestatten – viel weiter verbreitet als man denken könnte. Was damals nur einige Nazimonstren exemplifizierten, wird man heute feststellen können an sehr zahlreichen Menschen, etwa jugendlichen Verbrechern, Bandenführern und ähnlichen, von denen man jeden Tag in der Zeitung liest. Hätte ich diesen Typus des manipulativen Charakters auf eine Formel zu bringen – vielleicht soll man es nicht, aber zur Verständigung mag es doch gut sein -, so würde ich ihn den Typus des verdinglichten Bewusstseins nennen. Erst haben die Menschen, die so geartet sind, sich selber gewissermaßen den Dingen gleichgemacht. Dann machen sie, wenn es ihnen möglich ist, die anderen den Dingen gleich. Der Ausdruck „Fertigmachen“, ebenso populär in der Welt jugendlicher Rowdies wie in der der Nazis, drückt das sehr genau aus. Menschen definiert dieser Ausdruck „Fertigmachen“ als im doppelten Sinn zugerichtete Dinge. Die Folter ist nach der Einsicht von Max Horkheimer die in Regie genommene und gewissermaßen beschleunigte Anpassung des Menschen an die Kollektive. Etwas davon liegt im Geist der Zeit, sowenig es auch mit Geist zu tun hat. Ich zitiere bloß das vor dem letzten Krieg gesprochene Wort von Paul Valéry, die Unmenschlichkeit habe eine große Zukunft. Besonders schwer ist es, dagegen anzugehen, weil jene manipulativen Menschen, die zu Erfahrungen eigentlich nicht fähig sind, eben deshalb Züge von Unansprechbarkeit aufweisen, die sie mit gewissen Geisteskranken und psychotischen Charakteren, den Schizoiden verbinden.

Bei Versuchen, der Wiederholung von Auschwitz entgegenzuwirken, schiene es mir wesentlich, zunächst Klarheit dar- über zu schaffen, wie der manipulative Charakter zustande kommt, um dann durch Veränderung der Bedingungen sein Entstehen, so gut es geht, zu verhindern. Ich möchte einen konkreten Vorschlag machen: die Schuldigen von Auschwitz mit allen der Wissenschaft zur Verfügung stehenden Methoden, insbesondere mit langjährigen Psychoanalysen, zu studieren, um möglicherweise herauszubringen, wie ein Mensch so wird. Das, was jene an Gutem irgend noch tun können, ist, wenn sie selbst, in Widerspruch zu ihrer eigenen Charakterstruktur, etwas dazu helfen, dass es nicht noch einmal dazu komme. Das würde nur dann geschehen, wenn sie mitarbeiten wollten bei der Erforschung ihrer Genese. Allerdings dürfte es schwierig sein, sie zum Reden zu bringen; um keinen Preis dürfte irgend etwas ihren eigenen Methoden Verwandtes angewendet werden, um zu lernen, wie sie so wurden.
Einstweilen jedenfalls fühlen sie – eben in ihrem Kollektiv, im Gefühl, dass sie allesamt alte Nazis sind – sich so geborgen, dass kaum einer auch nur Schuldgefühle gezeigt hat. Aber vermutlich existieren auch in ihnen, oder wenigstens in manchen, psychologische Anknüpfungspunkte, durch die sich das ändern könnte, etwa ihr Narzissmus, schlicht gesagt ihre Eitelkeit.

Sie mögen sich wichtig vorkommen, wenn sie hemmungslos von sich sprechen können, so wie Eichmann, der ja offenbar ganze Bibliotheken von Bändern einsprach. Schließlich ist anzunehmen, dass auch in diesen Personen, wenn man tief genug gräbt, Restbestände der alten, heute vielfach in Auflösung befindlichen Gewissensinstanz vorhanden sind. Kennt man aber einmal die inneren und äußeren Bedingungen, die sie so machten – wenn ich hypothetisch unterstellen darf, dass man es tatsächlich herausbringen kann -, dann lassen sich möglicherweise doch praktische Folgerungen ziehen, dass es nicht noch einmal so werde. Ob der Versuch etwas hilft oder nicht, wird sich erst zeigen, wenn er unternommen ward; ich möchte ihn nicht überschätzen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass aus derlei Bedingungen Menschen nicht automatisch erklärt werden können. Unter gleichen Bedingungen wurden manche so und manche ganz anders. Trotz- dem wäre es der Mühe wert. Ein aufklärendes Potential dürfte allein schon in der Fragestellung liegen, wie man so wurde. Denn es gehört zu dem unheilvollen Bewusstseins- und Unbewusstseinszustand, dass man sein Sosein – dass man so und nicht anders ist – fälschlich für Natur, für ein unabänderlich Gegebenes hält und nicht für ein Gewordenes. Ich nannte den Begriff des verdinglichten Bewusstseins. Das ist aber vor allem eines, das gegen alles Geworden-Sein, gegen alle Einsicht in die eigene Bedingtheit sich abblendet und das, was so ist, absolut setzt. Würde dieser Zwangsmechanismus einmal durchbrochen, wäre – so dächte ich – doch einiges gewonnen.

Weiter sollte man im Zusammenhang mit dem verdinglichten Bewusstsein auch das Verhältnis zur Technik genau betrachten, und zwar keineswegs nur bei kleinen Gruppen. Es ist so doppeldeutig wie das zum Sport, mit dem es im übrigen verwandt ist. Einerseits produziert jede Epoche diejenigen Charaktere – Typen der Verteilung von psychischer Energie – , die sie gesellschaftlich braucht. Eine Welt, in der die Technik eine solche Schlüsselposition hat wie heute, bringt technologische, auf Technik eingestimmte Menschen hervor. Das hat seine gute Rationalität: in ihrem engeren Bereich werden sie weniger sich vormachen lassen, und das kann auch ins Allgemeinere hinaus wirken. Anderer- seits steckt im gegenwärtigen Verhältnis zur Technik etwas Übertriebenes, Irrationales, Pathogenes. Das hängt zusammen mit dem „technologischen Schleier“. Die Menschen sind geneigt, die Technik für die Sache selbst, für Selbstzweck, für eine Kraft eigenen Wesens zu halten und darüber zu vergessen, dass sie der verlängerte Arm der Menschen ist. Die Mittel – und Technik ist ein Inbegriff von Mitteln zur Selbsterhaltung der Gattung Mensch – werden fetischisiert, weil die Zwecke – ein menschenwürdiges Leben – verdeckt und vom Bewusstsein der Menschen abgeschnitten sind. Solange man das so allgemein sagt, wie ich es eben formulierte, dürfte es einleuchten. Aber eine solche Hypothese ist noch viel zu abstrakt. Keineswegs weiss man bestimmt, wie die Fetischisierung der Technik in der individuellen Psychologie des einzelnen Menschen sich durchsetzt, wo die Schwelle ist zwischen einem rationalen Verhältnis zu ihr und jener Überwertung, die schließlich dazu führt, dass einer, der ein Zugsystem ausklügelt, das die Opfer möglichst schnell und reibungslos nach Auschwitz bringt, darüber vergisst, was in Auschwitz mit ihnen geschieht.

Bei dem Typus, der zur Fetischisierung der Technik neigt, handelt es sich, schlicht gesagt, um Menschen, die nicht lieben können. Das ist nicht sentimental und nicht moralisierend gemeint, sondern bezeichnet die mangelnde libidinöse Beziehung zu anderen Personen.
Sie sind durch und durch kalt, müssen auch zuinnerst die Möglichkeit von Liebe negieren, ihre Liebe von anderen Menschen vornherein, ehe sie sich nur entfaltet, abziehen. Was an Liebesfähigkeit in ihnen irgend überlebt, müssen sie an Mittel verwenden. Die vorurteilsvollen, autoritätsgebundenen Charaktere, mit denen wir es in der „Autoritarian Personality“ in Berkeley zu tun hatten, lieferten manche Belege dafür. Eine Versuchsperson – das Wort ist selber schon ein Wort aus dem verdinglichten Bewusstsein – sagte von sich: „I like nice equipment“ (Ich habe hübsche Ausstattungen, hübsche Armaturen gern.), ganz gleichgültig, welche Apparaturen das sind. Seine Liebe wurde von Dingen, Maschinen als solchen absorbiert. Das Bestürzende ist dabei – bestürzend, weil es so hoffnungslos erscheinen lässt, dagegen anzugehen -, dass dieser Trend mit dem der gesamten Zivilisation verkoppelt ist. Ihn bekämpfen heißt soviel wie gegen den Weltgeist sein; aber damit wiederhole ich nur etwas, was ich zu Eingang als den düstersten Aspekt einer Erziehung gegen Auschwitz vorwegnahm.
Ich sagte, jene Menschen seien in einer besonderen Weise kalt. Wohl sind ein paar Worte über Kälte überhaupt erlaubt. Wäre sie nicht ein Grundzug der Anthropologie, also der Beschaffenheit der Menschen, wie sie in unserer Gesell- schaft tatsächlich sind; wären sie also nicht zutiefst gleich- gültig gegen das, was mit allen anderen geschieht außer den paar, mit denen sie eng und womöglich durch handgreifliche Interessen verbunden sind, so wäre Auschwitz nicht möglich gewesen, die Menschen hätten es dann nicht hingenommen. Die Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Gestalt – und wohl seit Jahrtausenden – beruht nicht, wie seit Aristoteles ideologisch unterstellt wurde, auf Anziehung, auf Attraktion, sondern auf der Verfolgung des je eigenen Interesses gegen die Interessen aller anderen. Das hat im Charakter der Menschen bis in ihr Innerstes hinein sich niedergeschlagen. Was dem widerspricht, der Herdentrieb der so genannten lonely crowd, der einsamen Menge, ist eine Reaktion darauf, ein Sich-Zusammenrotten von Erkalteten, die die eigene Kälte nicht ertragen, aber auch nicht sie ändern können. Jeder Mensch heute, ohne jede Ausnahme, fühlt sich zuwenig geliebt, weil jeder zuwenig lieben kann. Unfähigkeit zur Identifikation war fraglos die wichtigste psychologische Bedingung dafür, dass so etwas wie Auschwitz sich inmitten von einigermaßen gesitteten und harmlosen Menschen hat abspielen können. Was man so „Mitläufertum“ nennt, war primär Geschäftsinteresse: dass man seinen eigenen Vorteil vor allem anderen und, um nur ja nicht sich zu gefährden, sich nicht den Mund verbrennt. Das ist ein allgemeines Gesetz des Bestehenden. Das Schweigen unter dem Terror war nur dessen Konsequenz. Die Kälte der gesellschaftlichen Monade, des isolierten Konkurrenten, war als Indifferenz gegen das Schicksal der anderen die Voraussetzung dafür, dass nur ganz wenige sich regten. Das wissen die Folterknechte; auch darauf machen sie stets erneut die Probe.

Verstehen sie mich nicht falsch. Ich möchte nicht die Liebe predigen. Sie zu predigen, halte ich für vergeblich: keiner hätte auch nur das Recht, sie zu predigen, weil der Mangel an Liebe – ich sagte es schon – ein Mangel aller Menschen ist ohne Ausnahme, so wie sie heute existieren. Liebe predigen, setzt in denen, an die man sich wendet, bereits eine andere Charakterstruktur voraus als die, welche man verändern will.
Denn die Menschen, die man lieben soll, sind ja selber so, dass sie nicht lieben können, und darum ihrerseits keineswegs so liebenswert. Es war einer der großen, mit dem Dogma nicht unmittelbar identischen Impuls des Christentums, die alles durchdringende Kälte zu tilgen.
Aber dieser Versuch scheiterte; wohl darum, weil er nicht an die gesellschaftliche Ordnung rührte, welche die Kälte produziert und reproduziert. Wahrscheinlich ist jene Wärme unter den Menschen, nach der alle sich sehnen, außer in kurzen Perioden und ganz kleinen Gruppen, mag sein auch unter manchen friedlichen wilden, bis heute überhaupt noch nicht gewesen. Die viel geschmähten Utopisten haben das gesehen. So hat Charles Fourier die Attraktion als ein durch menschenwürdige gesellschaftliche Ordnung erst herzustellendes bestimmt; auch erkannt, dass dieser Zustand nur möglich sei, wenn die Triebe der Menschen nicht länger unterdrückt sind, sondern erfüllt und freigegeben.
Wenn irgend etwas helfen kann gegen Kälte als Bedingung des Unheils, dann die Einsicht in ihre eigenen Bedingungen und der Versuch, vorwegnehmend im individuellen Bereich diesen ihren Bedingungen entgegenzuarbeiten. Man möchte meinen, je weniger in der Kindheit versagt wird, je besser Kinder behandelt werden, umso mehr Chance sei. Aber auch hier drohen Illusionen. Kinder, die gar nichts von der Grausamkeit und Härte des Lebens ahnen, sind, einmal aus dem Geschützten entlassen, erst recht der Barbarei ausgesetzt. Vor allem aber kann man Eltern, die selber Produkte dieser Gesellschaft sind und ihre Male tragen, zur Wärme nicht animieren. Die Aufforderung, den Kindern mehr Wärme zu geben, dreht die Wärme künstlich an und negiert sie da- durch. Überdies lässt sich in beruflich vermittelten Verhältnissen wie dem von Lehrer und Schüler, von Arzt und Patient, von Anwalt und Klient Liebe nicht fordern. Sie ist ein Unmittelbares und widerspricht wesentlich vermittelten Beziehungen. Der Zuspruch zur Liebe – womöglich in der imperativischen Form, dass man es soll – ist selber Bestand- stück der Ideologie, welche die Kälte verewigt. Ihm eignet das Zwanghafte, Unterdrückende, das der Liebesfähigkeit entgegenwirkt. Das erste wäre darum, der Kälte zum Bewusstsein ihrer selbst zu verhelfen, der Gründe, warum sie wurde.

Lassen sie mich zum Ende nur noch mit wenigen Worten eingehen auf einige Möglichkeiten der Bewusstmachung der subjektiven Mechanismen überhaupt, ohne die Auschwitz kaum wäre. Kenntnis dieser Mechanismen ist Not; ebenso auch die der stereotypen Abwehr, die ein solches Bewusstsein blockiert. Wer heute noch sagt, es sei nicht so oder nicht ganz so schlimm gewesen, der verteidigt bereits, was geschah, und wäre fraglos bereit zuzusehen oder mitzutun, wenn es wieder geschieht. Wenn rationale Aufklärung auch – wie die Psychologie genau weiss – nicht gerade die unbewussten Mechanismen auflöst, so kräftigt sie wenigstens im Vorbewusstsein gewisse Gegeninstanzen und hilft ein Klima bereiten, das dem Äußersten ungünstig ist. Würde wirklich das gesamte kulturelle Bewusstsein durchdrungen von der Ahnung des pathogenen Charakters der Züge, die in Auschwitz zu dem Ihren kamen, so würden die Menschen jene Züge vielleicht besser kontrollieren.
Weiter wäre aufzuklären über die Möglichkeit der Verschiebung dessen, was in Auschwitz sich austobte. Morgen kann eine andere Gruppe drankommen als die Juden, etwa die alten, die ja im 3. Reich gerade eben noch verschont wurden, oder die Intellektuellen, oder einfach abweichende Gruppen. Das Klima – ich deutete darauf hin -, das am meisten solche Auferstehung fördert, ist der wiedererwachende Nationalismus.
Er ist deshalb so böse, weil er im Zeitalter der internationalen Kommunikation und der übernationalen Blöcke sich selbst gar nicht mehr so recht glauben kann und sich ins Maßlose übertreiben muss, um sich und anderen einzureden, er wäre noch substantiell.
Konkrete Möglichkeiten des Widerstands wären immerhin zu zeigen. Es wäre etwa auf die Geschichte der Euthanasiemorde einzugehen, die in Deutschland, dank des Widerstands dagegen, doch nicht in dem ganzen Umfang begangen wurden, in dem die Nationalsozialisten sie geplant hatten. Der Widerstand war auf die eigene Gruppe beschränkt; gerade das ist ein besonders auffälliges, weit verbreitetes Symptom der universalen Kälte. Sie ist aber, zu allem anderen, auch borniert angesichts der Unersättlichkeit, die im Prinzip der Verfolgungen liegt. Schlechterdings jeder Mensch, der nicht gerade zu der verfolgenden Gruppe dazugehört, kann ereilt werden; es gibt also ein drastisches egoistisches Interesse, an das sich appellieren ließe – schließlich müsste man nach den spezifischen, geschichtlich objektiven Bedingungen der Verfolgungen fragen. So genannte nationale Erneuerungsbewegungen in einem Zeitalter, in dem der Nationalismus veraltet ist, sind offenbar besonders anfällig für sadistische Praktiken.

Aller politische Unterricht endlich sollte zentriert sein darin, dass Auschwitz nicht sich wiederhole. Das wäre möglich nur, wenn zumal er ohne Angst, bei irgendwelchen Mächten anzustoßen, offen mit diesem Allerwichtigsten sich beschäftigt. Dazu müsste er in Soziologie sich verwandeln, also über das gesellschaftliche Kräftespiel belehren, das hinter der Oberfläche der politischen Formen seinen Ort hat. Kritisch zu behandeln wäre, um nur ein Modell zu geben, ein so respektabler Begriff wie der der Staatsraison: indem man das Recht des Staates über das seiner Angehörigen stellt, ist das Grauen potentiell schon gesetzt.
Walter Benjamin fragte mich einmal in Paris während der Emigration, als ich noch sporadisch nach Deutschland zurückkehrte, ob es denn dort noch genug Folterknechte gäbe, die das von den Nazis Befohlene ausführten. Es gab sie. Trotzdem hat die Frage ihr tiefes Recht. Benjamin spürte, dass die Menschen, die es tun, im Gegensatz zu den Schreibtischmördern und Ideologen, in Widerspruch zu ihren eigenen unmittelbaren Interessen handeln, Mörder an sich selbst, indem sie die anderen ermorden. Ich fürchte, durch Maßnahmen auch einer noch so weit gespannten Erziehung wird es sich kaum verhindern lassen, dass Schreibtischmörder nachwachsen. Aber dass es Menschen gibt, die unten, eben als Knechte das tun, wodurch sie ihre eigene Knechtschaft verewigen und sich selbst entwürdigen; dass es weiter Bogers und Kaduks gebe, dagegen lässt sich doch durch Erziehung und Aufklärung ein Weniges unternehmen.

Vortrag von Theodor W. Adorno im Hessischen Rundfunk, am 18. April 1966 gesendet und in: Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit, suhrkamp taschenbuch 1971

Alt-Rehse, nun noch mit Musik, jetzt wird alles rein.

Es hat etwas gedauert bis aus dem Park im NS Musterdorf Alt Rehse am Tollensesee wieder ein attraktiver Wellness Ort für bedürftige Besucherinnen wurde.

2006 kaufte ein Wirtschaftsjurist aus Bayern den Park für 2 Mio. €, offenbar war er dann doch zu sehr mit seinem Bewusstseinswandel befasst und ging Pleite.

Ab 2016 dann die Geschäftsfrau aus Bayern, ihr ist es wohl gelungen:
Die Historie des Parks sollte man nicht auslöschen“, ist die Investorin überzeugt. Stattdessen will sie das Gute aus der Vergangenheit ziehen und das Schlechte transformieren, „damit der Ort zur Ruhe kommt.“
Wie kommt ein Ort zur Ruhe? Was kann das heißen?
Die Häuser wurden aufwendig renoviert, der Park für die entspannten Gäste zurechtgestutzt, ein Designkonzept darüber gestülpt und nun?
Jetzt können Hotelzimmer gebucht werden oder eine Ferienwohnung mit Boxspring-Betten und Privat-Sauna, und das esoterische Gesäusel gibts gratis dazu:
“Herzlich Willkommen im PARK AM SEE. Unserem Naturparadies im Land der tausend Seen. Einem Ort, an dem sich tiefe Naturverbundenheit mit leiser Eleganz verbindet. Eingebettet in eine sagenumwobene Landschaft, seit Jahrtausenden besiedelt und verehrt. Ein Ort zum Wohlfühlen und Freisein. Für Ihr persönliches Rendezvous mit der Natur.  Einfach ankommen, abschalten und auftanken.
Das pekuniäre Thema lassen wir mal außen vor – äh, es gibt übrigens auch Yoga an diesem Kraftort, in der Yogahalle, da trafen sich vor über 80 Jahren schon die Ärzte für ihre NS Schulungen für Euthanasie und Selektion, was sie noch nicht hatten, die Fußbodenheizung und die “hochmoderne Akustikanlage” für den Schwung beim “Zumba”.

Ein Geheimtipp soll der Park nun nicht mehr zu sein, die Werbung läuft und mit Musik geht bekanntermaßen alles besser und siehe da, nun halten auch die Mecklenburger Festspiele Einzug in die Reethalle, dem ehemaligen Schulungsgebäude für NS-Rassenpolitik:
Es musiziere die Festspielpreisträgerin und Künstlerische Leiterin der Krzyzowa-Musik Viviane Hagner mit weiteren Streichern und einem Pianisten, die Stücke der Komponisten Franz Schubert und Antonin Dvorák spielen wollen. 7.9.2022 NMZ

Einfach ankommen, abschalten und auftanken.

Für das “Naturparadies Park Am See” ist der Schlosspark ein Denkmal, nur woran soll bei diesem Denkmal gedacht werden?
Die Entstehung des Schlossparks in Alt Rehse geht in das 19. Jahrhundert zurück. Der heutige Park war zu diesem Zeitpunkt eine sogenannte Waldweide. Zwei mächtige alte Eichen erinnern an diese naturbelassene Zeit am Ufer des Tollensesees. 1897 kaufte Baron Ludwig von Hauff – verwandt mit dem berühmten Dichter Wilhelm Hauff – das Dorfgut Alt Rehse und ließ den Park anlegen und das „Schloss Lichtenstein“ – in Wahrheit ein Herrenhaus – errichten. Seitdem blicken Park und Dorf auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurück, die durch ganz unterschiedliche Ideologien geprägt wurde. Vor der Revitalisierung war der Park für viele Jahre sich selbst überlassen und verwucherte.
Revitalisierung – auch ein schönes Wort, wie können Pflanzen revitalisiert werden? Entweder sie wachsen wie es ihnen paßt, oder sie werden gestutzt und auf eine für das Gartendesign des Parks passende Form gebracht – was ist daran vital?
Und ja. die Ideologien können unterschiedlich sein, – sicher ist, die NS Ideologie prägte Alt Rehse komplett: das Dorf, den Park, die Gebäude, alles wurde für das ärztliche Trainingscamp für NS Ärzte erbaut, da betonen wir lieber den Dichter Wilhelm Hauff, der hat zwar mit seiner Novelle Jud Süß die Vorlage für den bekanntesten Judenhasser Film schrieb – aber wer weiß das schon und nun ja, die Ideologien…
Also lieber noch mehr in die Vergangenheit, wo es noch vital und magisch zuging, da war hier die heilige Stätte der Westslawen oder vielleicht ein germanischer Kraftort- huch da wird einem doch ganz anders zumute in den weichen Boxspirngbetten, es ranken sich doch derart viele “Mythen rund um diese Region. Eine von ihnen besagt, dass sich auf der Fischerinsel im See das Heiligtum der Westslawen, die legendäre untergegangene Stätte Rethra, befindet.”
Die kursiven Texte sind zitiert aus “Ein neues Leben für den Park am See” + “ Park Am See“, der Homepage der Parkanlage.


… zur Geschichte des Dorfs Alt Rehse bis 2016:

Der Umbau des Guts Alt-Rehse zum deutschen Trainingslager für ärztliche Mörder wurde am 1.6.1935 mit großem Aufwand gefeiert, die Eröffnungsrede von R. Heß durch sämtliche Radiosender übertragen.
Diese „reichsweit“ einmalige Einrichtung diente bis 1943 der ideologischen Schulung von deutschen Ärztinnen und Ärzten, Hebammen, Apothekern sowie Angehörigen der gesundheitspolitischen Institutionen.
Ein Viertel der deutschen Jungärzte wurde im Zentrum der NS Eugenik geistig und körperlich „erzogen“und erhofften sich einen Karrieresprung durch ihre Teilnahme. 
Nach der Befreiung übernahm die sowjetische Armee die Anlage, darauf folgten NVA und Bundeswehr.
Als Nachkomme ihrer Vorgängerorganisation in der Nazizeit machte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) 1991 Rückgabeansprüche auf die „NS Ärzteführerschule“ geltend sowie auf den Grund und Boden und die Häuser des ehemaligen Nazi-Musterdorfs. In jahrelangen Prozessen kämpften die Alt-Rehser darum, die Häuser der KBV nicht abkaufen zu müssen. Am Ende verzichtet die KBV, die Kosten für den Erhalt waren ihr zu hoch.
Den 65 Hektar großen Park mit altem Schloß kauft 2006 ein Wirtschaftsjurist aus Bayern für 2 Mio.€.
Der „Tollense Lebenspark“ und die Gebäude sollen in einen Ort verwandelt werden, „an dem es viel Arbeit gibt und sich gut leben lässt“. Die assoziierte „Stiftung Medizin und Gewissen“ fördert die „Erforschung (…) der bewegten und bewegenden Geschichte des Parks“, sonst werden Menschen eingeladen zum „Bewusstseinswandel in der weitläufigen Natur und den vielen versteckten Kraftplätzen“ und dabei „geistes-, tat- und finanz-kräftig mit anzupacken“.

Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A), Karrieren der Institutsdirektoren und Mitarbeiter vor und nach 1945.

Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A), Karrieren der Institutsdirektoren und Mitarbeiter vor und nach 1945.

Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A) wurde 1927 in Berlin-Dahlem als Einrichtung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften gegründet und lieferte die wissenschaftliche Legitimation für die nationalsozialistische Rassenpolitik und war an zahlreichen NS-Staatsverbrechen beteiligt. Mit der Charité (Uniklinik Berlin) gab es eine rege Zusammenarbeit. Nach Kriegsende 1945 wurde das Institut nicht weitergeführt. Nur die in Berlin verbliebene Abteilung für experimentelle Erbpathologie wurde 1953 als Max-Planck-Institut für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie in die Max-Planck-Gesellschaft übernommen. Zahlreiche Wissenschaftler konnten ihre Karrieren in der Bundesrepublik Deutschland fortsetzen.
Im folgenden Lebensläufe von: Eugen Fischer, Otmar von Verschuer, Fritz Lenz, Hans Grebe, Ferdinand Claussen, Heinrich Schade, Hans Nachtsheim, Josef Mengele.

Eine Zusammenfassung von Judith Haman, Hamburg, Januar 2017

Eugen Fischer (1874 – 1967)
1927- 42 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin 
Beruflicher Werdegang
Studierte Medizin und Naturwissenschaften an der Uni Freiburg, promoviert 1898.

1900 habilitiert auf dem Gebiet der Anatomie und Anthropologie.
1908 Forschungsreise zum Studium von Rassenkreuzungen zu den Baster („Bastarde“) in Deutsch – Südwestafrika.
1910 Gründung der Ortsgruppe Freiburg der „Gesellschaft für Rassenhygiene“.
Ab 1912 a.o. Professor an der Universität Würzburg, ab 1914 in Freiburg a.B..
Zwischen 1918 und 1942 Lehrstuhl für Anthropologie an der Uni Freiburg und
Friedrich-Wilhelms-Uni Berlin.
1925 Kanarische Inseln Forschungsreise, Mitherausgeber von „Volk und Rasse“.
1927 – 1942 war er Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem.
1933 – 34 Rektor der Berliner Universität.
1932 Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
1937 Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften.
1940 trat er der NSDAP bei, führendes Mitglied im NS-Dozentenbund.
1944 erhielt er den Adlerschild des Deutschen Reiches als höchstmögliche Auszeichnung in der Wissenschaft.

Politische Positionen
1933 sorgte Fischer als Rektor der Berliner Universität für die Entlassung vieler jüdischer Wissenschaftler. Er unterzeichnete am 4./5. März 1933 den Aufruf: „Die Berliner Hochschullehrer für Adolf Hitler“, unterstützte die Bücherverbrennung am 10.5.1933 als Redner neben Josef Goebbels. Führender Befürworter der Rassengesetze, setzte 1937 die (auch damals illegale) Zwangssterilisierung sog. „Rheinlandbastarde“ durch. Er war Richter am Erbgesundheitsgericht, Generalarzt für rassenbiologische Fragen der Reichsstelle für Sippenforschung und Ausbilder für Eignungsprüfer zur Eindeutschung polnischer Kinder. 1941 war er im Beirat der «Forschungsabteilung Judenfrage» in Walter Franks „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland“.
1934 schrieb er in der badischen Zeitschrift Mein Heimatland, die Bekämpfung der Juden habe nicht das Ziel, „wirtschaftliche Gewinner, geistige Konkurrenz loszuwerden“, sondern es gehe um „die Rettung der Rasse, die das Deutschtum geschaffen (hat), und ihre Reinigung von Fremden, rassenmäßig anderem, das ihre geistige Entwicklung in andere Bahnen zu bringen drohte und teilweise gebracht hat. Viele persönlich hochachtbare Menschen werden hart und grausam getroffen. Ist das Opfer zu groß, wenn es gilt ein ganzes Volk zu retten?“

Auf der ersten Tagung der deutschen Anthropologen nach Kriegsende in Weinheim 1948 wurde er als Kopf des Faches hofiert. Die Deutsche Gesellschaft für Anthropologie ernannte ihn 1952 zum Ehrenmitglied. 1952 wurde er Ehrenmitglied der Gesellschaft für Konstitutionsforschung in Tübingen unter Ernst Kretschmer, 1954 Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Anatomie.
Nach dem Krieg lebte er erst in Sontra (Hessen) und dann in Freiburg im Breisgau.

Nach 1945
Am 10.11.1947 wurde er von der Spruchkammer in Rotenburg an der Fulda zum Mitläufer erklärt und zu einer Sühne von 300 Mark verurteilt. 1954 erkannte ihm Ministerpräsident Gebhard Müller die Rechtsstellung eines emeritierten Ordinarius der Uni Freiburg zu, das Land Baden-Württemberg zahlte die Ruhestandsbezüge. In den 60er Jahren setzte er sich mit Erfolg dafür ein, vier seiner belasteten Schüler auf den neun anthropologischen Lehrstühlen in den Universitäten der Bundesrepublik unterzubringen.
http://www.badische-heimat.de/heft/reprint/1999_3_fischer.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Fischer_(Mediziner)

Otmar von Verschuer  (1896 – 1969)
Beruflicher Werdegang
Medizinstudium in Marburg, Philipps-Universität, ab 1919. Organisierte sich im Studentenkorps Marburg von Bogislav von Selchow, teilte sein Studentenkorps dazu ein, öffentliche Gelder für die Putschisten (Kapp-Putsch) zu beschlagnahmen und in Marburg jüdische Banken zu besetzen.
Danach Uni Hamburg und dann München, wo er sein Studium beendete. Dann 1921/ 22 Gast an die Uni Freiburg, wo er seinen Mentor Eugen Fischer kennenlernte. Verschuer promovierte 1923 in München.
Danach 1923 Uni Tübingen als Assistent von Wilhelm Weitz, der ihm sein Spezialgebiet nahebrachte, seine erbbiologische Forschung mit Zwillingen.
1927 habilitierte er in Tübingen für menschliche Vererbungslehre mit der Schrift die vererbungsbiologische Zwillingsforschung.
1927 ging er an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin (KWI-A), wo er Abteilungsleiter für menschliche Erblichkeitslehre tätig war.
Zusammen mit den beiden weiteren Direktoren des KWI-A für Anthropologie, Fischer und Hermann Muckermann, hielt er 1929/30 mehr als 200 Vorträge über Rassenhygiene.
1933 an der Uni Berlin ,wurde er nebenamtlicher außerordentlicher Prof. für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik.
1936 wurde er Richter am Erbgesundheitsgericht.
1935 – 1942 leitete er das Universitäts-Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene Frankfurt/Main.
1936 Professor an der Uni Frankfurt.
Von 1936 – 38 war Gerhart Stein Doktorand bei Verschuer, er promovierte über Roma, die er vor allem im Zwangslager für „Zigeuner“ in Berlin-Marzahn untersuchte und arbeitete für die rassenhygienische Forschungsstelle.
Josef Mengele, der seit Januar 1937 zu Verschuers Institut gehörte, promovierte 1938 mit Sippenuntersuchungen bei der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte.
Bereits 1936 gehörte Verschuer als Fachmann dem Beirat der Forschungsabteilung Judenfrage des Reichsinstituts für Geschichte des Neuen Deutschlands an.

Ab 1942 wird Otmar von Verschuer Nachfolger von Eugen Fischer als Direktor des KWI-A.
Mit Geldern der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) setzte Verschuer in Berlin auch Forschungsprojekte fort, die er in Frankfurt begonnen hatte. Er nutzte dabei das Ansehen des KWI und die Unterstützung durch den Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti und Hitlers Begleitarzt Karl Brandt.
In seiner Berliner Zeit nutzte Verschuer über Mitarbeiter und ehemalige Institutsmitarbeiter direkt bzw. indirekt die Möglichkeiten des KZ Auschwitz für medizinische bzw. genetische Forschung. In seiner Untersuchung „Spezifische Eiweißkörper“ wurde die Blutreaktion auf Infektionskrankheiten erforscht. Mengele infizierte im KZ Auschwitz-Birkenau zu diesem Zweck Menschen „verschiedener geographischer Herkunft“ mit Krankheitserregern und sandte die Proben an Verschuer nach Berlin. Diese Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert, die Verschuer offen über den Ort der Forschung, das KZ Auschwitz, berichtete.

Im September 1939 wurden von Verschuers sechs Frankfurter Assistenten vier (Heinrich Schade, Hans Grebe, Kahler, Fromme) einberufen, Mengele wurde im August 1940 SS-Unterscharführer bei der Einwanderungszentrale in Lodz. Es verblieb nur noch seine Assistentin Eleonore Liebenam.
1943 wurde Verschuer Honorarprofessor in Berlin, wo er 1944 in den wissenschaftlichen Beirat des Generalkommissars für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Karl Brandt aufgenommen wurde.
Auch Verschuers wissenschaftliche Mitarbeiterin Karin Magnussen kooperierte mit Mengele. Für ihre ebenfalls von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften geförderte Forschung zur Iris-Heterochromie erhielt sie von Mengele die Augen ermordeter Auschwitz-Häftlinge.
Im Januar 1945 wurde Verschuer zum Vorsitzenden der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte gewählt, konnte sein Amt jedoch nicht mehr antreten.
Im Februar 1945 wurde das KWI-A nach Westdeutschland verlegt, zunächst nach Solz bei Bebra, später nach Frankfurt am Main.

Politische Positionen
In einer Rede in der Universität über „Rassenhygiene als Wissenschaft und Staatsaufgabe“ sagte Verschuer:„Der Staat Adolf Hitlers, der zum ersten Mal die Erb- und Rassenpflege wirksam zur Durchführung gebracht hat, ist also gleichzeitig ein Staat, der die Erziehung des Volkes wie kein anderer Staat stark in die Hand genommen hat“.
Als Herausgeber der Zeitschrift Der Erbarzt schrieb er im Januar 1940 im Leitartikel:„Die mit uns geführten vereinten Völker erkennen mehr und mehr, daß die Judenfrage eine Rassenfrage ist, und daß sie deshalb eine Lösung finden muß, wie sie von uns zunächst für Deutschland eingeleitet wurde.“
1940 trat Verschuer der NSDAP bei und wurde Mitherausgeber des Lehrbuchs Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, des sogenannten Baur/Fischer/Lenz. Verschuer war als Nachfolger von Eugen Fischer von Oktober 1942 bis 1948 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, außerdem Fachmann für Biologie der Forschungsabteilung Judenfrage des Amtes Rosenberg.
1941 war er geladener Gast bei der Eröffnung von Alfred Rosenbergs Institut zur Erforschung der Judenfrage, das als erste Einrichtung einer geplanten hohen Schule der NSDAP in Frankfurt am Main entstand. Ende 1942 wurde Verschuer in den Beirat der neu gegründeten Gesellschaft für Konstitutionsforschung berufen.

Nach 1945 wurde Verschuer von einer Spruchkammer in Frankfurt am Main im Rahmen der Entnazifizierung als „Mitläufer“ eingestuft und zu einer Buße von 600 RM verurteilt. Robert Havemann, kommissarischer Leiter der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, protestierte gegen diesen Vorgang. Verschuer gehörte 1949 zu den Gründern der Mainzer Akademie der Wissenschaften.
Ab 1951 war er Professor für Humangenetik und erster Lehrstuhlinhaber des neu gegründeten Instituts für Humangenetik an der Universität Münster, zeitweise auch Dekan der Medizinischen Fakultät 1965 wurde er emeritiert.

Neben seiner Lehrtätigkeit war Verschuer seit 1952 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie. Noch 1958 konnte Verschuer ungehindert rassenbiologische Ideen in einer „Untersuchung zum Vagantenproblem“ seines Fachkollegen Hermann Arnold verbreiten: „Sippenwandern“ und „Unstetigkeit“ halte den untersuchten Personenkreis „von geregelter Arbeit ab“, was eine „psychische Erbeigenschaft“ sei.

Im Jahr 1961 gehörte er zu den Gründern von The Mankind Quarterly von der International Association for the Advancement of Ethnology and Eugenics, Edinburgh.
Verschuer starb 1969 an den Folgen eines Autounfalls.
https://de.wikipedia.org/wiki/Otmar_von_Verschuer

Fritz Lenz (1887 – 1976)
Beruflicher Werdegang
1912 medizinisches Staatsexamen, 1919 Habilitation im Fach Hygiene, Uni München.
1921 veröffentlichte Fritz Lenz zusammen mit Eugen Fischer und Erwin Baur „das einflussreiche, von Hitler in der Festungshaft in Landsberg in „Mein Kampf“ eingearbeitete Standardwerk“ „Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“.
1923 wurde er auf den ersten Lehrstuhl für „Rassenhygiene“ in Deutschland an der Uni München berufen.
1931 forderte er, das untüchtigste Drittel der Bevölkerung zu sterilisieren.
1933 wurde er Direktor der Abteilung Eugenik am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie
1937 Beitritt zur NSDAP
1939 Mitglied der American Eugenics Society
1940 Beteiligung an den Beratungen zu einem „Euthanasiegesetz“, das Gesetz war eine Initiative von Ärzten, die zeitgleich an den nationalsozialistischen Krankenmorden, der Aktion T4, beteiligt waren. Mitglied beim Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund.
1944 wissenschaftlicher Beirat des Generalkommissars für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Karl Brandt.
Ab 1946 außerordentlicher Professor in Göttingen für menschliche Erblehre, ab 1952 ordentlicher Professor.
1949 wurde er in seinem Entnazifizierungsbescheid als „entlastet“ eingestuft. Er schrieb 1951 an Hans Nachtsheim: „Ich habe Sympathie auch für die Schimpansen und Gorillas, und es tut mir sehr leid, daß sie dem Aussterben entgegensehen …. Mir ist auch das Schicksal, das Millionen von Juden betroffen hat, sehr schmerzlich; aber das alles darf uns doch nicht bestimmen, biologische Fragen anders als rein sachlich zu betrachten“.
1955 Pensionierung.     1961 nachträgliche Emeritierung.

Politische Positionen
Mit Lenz erhielt die Rassenhygiene eine politische Dimension eindeutig nationalsozialistischer Prägung. Bereits 1931 setzte Lenz den Nationalsozialismus mit „angewandter Biologie“ gleich. Die Affinität von Lenz zu proto-nationalsozialistischen Vorstellungen entwickelte sich sehr früh und in Zusammenhang mit seinen Tätigkeiten für die „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“. So engagierte er sich in dem von Alfred Ploetz 1907 innerhalb der Gesellschaft gegründeten Geheimorganisation „Ring der Norda“, welche als Ziel eine „Verbesserung der Nordischen Rasse“ anstrebte. Lenz untersuchte mit besonderem Interesse die Gebiete der Vererbung menschlicher Krankheiten sowie Fragen der Gesundhaltung des menschlichen Erbgutes. Die Ergebnisse publizierte er 1921 und 1932 zusammen mit Erwin Baur und Eugen Fischer in seinem zweibändigen Hauptwerk: Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. Band I des Werkes erschien in der vierten Auflage, 1936, unter dem Titel Menschliche Erblehre. Es wurde das Standardwerk der Rassenhygiene und menschlichen Erblehre und wurde kurz BFL oder Baur-Fischer-Lenz genannt. So formulierte Lenz 1936 in Bezug auf die Juden im Baur-Fischer-Lenz Band I beispielsweise: „Ein Lebewesen gedeiht besser ohne Parasiten.“ Der Baur-Fischer-Lenz blieb bis in die 1970er Jahre Prüfungsliteratur.
https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Lenz

Hans Grebe (1913 – 1999)
Internist, „Rassenhygieniker“
1931 Studium Medizin und Sport  in Berlin, Eintritt NS-Studentenbund
1933 Eintritt NSDAP
1933 Wehrsportführer der medizinischen Fakultät der Uni Frankfurt
1935 Staatsexamen Medizin
1937 Assistent bei Verschuer am Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene der Uni Frankfurt
1942 wieder Assistent bei Verschuer am KWI -A in Berlin und Dozent für Rassenhygiene
Hat möglicherweise an Präparaten geforscht, die sein ehemaliger Kollege Josef Mengele aus dem KZ Auschwitz schickte, so gingen z.B. Präparate Zwergwüchsiger aus dem KZ Auschwitz an das KWI-A.
1944 Lehrstuhl für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Uni Rostock.,
1944/45 wurde er hier Gaudozentenführer.

Nach 1945, praktischer Arzt in Frankenberg (Hessen).
1948 Im Entnazifizierungsverfahren wurde er als entlastet eingestuft.
1952-72 Lehrauftrag für Humangenetik an der Uni Marburg.
1949 Mitbegründer des Sportärzteverbandes Hessen.
1954-74 Erster Vorsitzender des Sportärzteverbandes Hessen.
1955 Mitglied im „Weltrat für Sport und Leibeserziehung“ der UNESCO.
1958-76 Präsident der Ärztekommission des deutschen Amateur-Box-Verbandes.
Ab 1970 im Aufsichtsrat des Herz- und Kreislaufzentrums Rotenburg an der Fulda.
Ab 1983 nur noch Schriftsteller, Mitglied im Bundesverband Dt. Schriftstellerärzte. Veröffentlichte 75 belletristische Bücher.
1990 Landrat-Heinrich-Kohl-Preis der FDP
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Grebe

Ferdinand Claussen (1899 – 1971)
Mediziner, Rassenhygieniker und Hochschullehrer
Studium der Medizin an den Unis Hamburg, Müchen, Leipzig, Kiel
1931 Mitglied der NSDAP, SA, NSDÄB
1935 Oberarzt unter Otmar Freiherr von Verschuer am Institut für erbbiologische Forschung und zusätzlich Dozent der Fächer innere Medizin, Erbbiologie u. Rassenhygiene
1939 Prof. für Erbbiologie Uni Köln, Direktor des dortigen Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene.
„Die Erbbiologie läßt an der Völkergeschichte die ungeheure Bedeutung der Rassenmischung erkennen. Sie liegt noch besonders, wie unser Volk erfahren hat, in der Existenz des jüdischen Volkes, dessen Lebensform ein wurzelloses Parasitentum ist.“ – Ferdinand Claussen im Frühjahr 1940 während der Institutseinweihung
1948-64 leitete er die innere Abteilung des Krankenhauses Waldbröl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Claussen

Heinrich Schade  (1907 – 1989)
Mediziner, Humangenetiker und Hochschullehrer
Medizinstudium in München, Bonn, Kiel
1932 promoviert in Kiel, Medizinassistent in München und Königsberg
1931 NSDAP und SA, dann SS,
1944 SS-Sturmbannführer
1934/35 Absolvent des ersten rassehygienischen Lehrgang am KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A)
1939 Assistent bei Verschuer und Oberarzt am Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene.
Gutachter für Zwangssterilisierungen sog. „Rheinlandbastarde“.
Habilitation und Dozent für „Erbbiologie und Rassenhygiene“ an der Uni Frankfurt.
1942 Oberarzt unter Verschuer am KWI-A, Forschungsauftrag mit Auswertungsarbeiten,
Gutachter für das „Reichssippenamt“. Jugoslawische Kriegsgefangenschaft

1950 freiberuflich tätig für die Erstellung von Vaterschaftsgutachten bei der deutschen Gesellschaft für Anthropologie.
1952 Lehrbeauftragter an der Uni Münster bei Verschuer.
1954 außerplanmäßiger Prof. für Humangenetik an der Uni Münster.
1965 – 74 leitete er das Institut für Humangenetik und Anthropologie an der Uni Düsseldorf
1966 wurde er dort ordentlicher Professor.
Schade war Autor zahlreicher Publikationen, darunter das 1974 erschienene Werk Völkerflut und Völkerschwund. Zudem gehörte er der deutschen Akademie für Bevölkerungswissenschaft an.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Schade

Hans Nachtsheim  (1890-1979)
Zoologe und Genetiker
Er war als Professor für Genetik vor dem Zweiten Weltkrieg an Berliner Universitäten und am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie tätig sowie nach dem Krieg bis 1948 an der Berliner Universität, dann an der FU Berlin und in der Max-Planck-Gesellschaft.
Von 1941 bis 1945 war Nachtsheim Leiter der Abteilung für experimentelle Erbpathologie am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A), dessen kommissarischer Direktor er 1943 wurde. 1944 wurde er wissenschaftliches Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (später Max-Planck-Gesellschaft). Nachtsheim führte 1944 im Auftrag des Reichsforschungsrats Untersuchungen zur „vergleichenden und experimentellen Erbpathologie“ durch, wobei es zunächst um die Prüfung des Einflusses von Unterdruck bzw. Sauerstoffmangel auf die Auslösung eines epileptischen Anfalls bei epileptischen und nicht-epileptischen Kaninchen ging. Er „[b]enutzte 1943 sechs epilepsiekranke Kinder aus der vom Reichsausschuß-Gutachter Hans Heinze geleiteten Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Brandenburg-Görden für ein Unterdruck-Experiment“. Er hatte mittelbar Verbindung zu Menschenversuchen im Bereich der Tuberkuloseforschung und zu Forschungen an Augen von in Auschwitz ermordeten Menschen.

Als eines von zwei Mitgliedern des KWI-A, die „mit Sicherheit keine Verbindung zur NSDAP“ hatten, konnte Hans Nachtsheim eine wichtige Figur im Aufbau der Genetik in der Bundesrepublik werden. Von 1946 bis 1949 war er Professor für Genetik und Direktor des Instituts für Genetik der Humboldt-Universität Berlin.

1949 wurde Nachtsheim auf einen Lehrstuhl für Allgemeine Biologie an der FU-Berlin berufen und gehörte dort zu den Gründern des Instituts für Genetik, welches er bis zu seiner Emeritierung als Professor 1955 leitete. Gleichzeitig war er Direktor am Institut für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie der Deutschen Forschungshochschule, das nach dem Krieg aus Nachtsheims Abteilung am KWI-A hervorgegangen war und welches 1953 der Max-Planck-Gesellschaft angegliedert wurde. Dieses Institut für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie der Max-Planck-Gesellschaft leitete er von 1953 bis 1960. Da im Nürnberger Ärzteprozess die luftfahrtmedizinische Forschung (und damit auch die Unterdruckversuche, an denen Nachtsheim beteiligt war) einer genauen Prüfung und auch der Verurteilung entging, wurde Nachtsheim nie für seine Forschungstätigkeit in der NS-Zeit zur Rechenschaft gezogen.
Nachtsheim war Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Nachtsheim

Josef Mengele (16. März 1911 – 7. Februar 1979)
1911 geboren am 16. März in Günzburg/Donau als ältester Sohn von Karl Mengele, Inhaber eines Landmaschinenbetriebs, katholisch-konservative, deutschnationale Erziehung.
1930 – 1936 Medizin Studium in München, Bonn und Wien.
1935 Erste Promotion “Rassenbiologische Untersuchung des vorderen Unterkieferabschnittes bei vier rassischen Gruppen”.
Ab 1937 Assistent bei Prof. von Verschuer am Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene in Frankfurt a.M..
1937 Eintritt in die NSDAP.
1938 Zweite Promotion (Dr. phil) “Sippenuntersuchungen bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte” und Eintritt in die SS.
1939 Mengele meldet sich freiwillig zur Waffen-SS.
1942 Im Januar als Truppenarzt der SS-Division “Wiking”.
Mai 1943 Rückkehr wegen Verwundung.
Mai 1943 bis Januar 1945 als Lagerarzt im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz eingesetzt. In dieser Funktion nahm er Selektionen vor, überwachte die Vergasung der Opfer und führte menschenverachtende medizinische Experimente an Häftlingen durch. Er sammelte Material und betrieb Studien zur Zwillingsforschung, zu Wachstumsanomalien, zu Methoden der Unfruchtbarmachung von Menschen und Transplantation von Knochenmark sowie zur Therapie von Fleckfieber und Malaria.
Aufenthalt in Auschwitz eine „geplante Aktion in Abstimmung mit seinem akademischen Vorgesetzten Prof. von Verschuer“.

Verschuer-These:
Eiweißstoffen des Gewebes und Blutes enthalten Rassemerkmale. Entwicklung eines Bluttest zur Bestimmung menschlicher Rassenzugehörigkeit mittels Vererbung „spezifischer Eiweißkörper“. Zur „Feststellung der Rassenspezifität von Eiweißstoffen“ und Nachweis der vermuteten „Abwehrfermente“ infiziert Mengele Zwillinge mit Tuberkulose und Flecktyphus und nimmt Blutproben. (Daraus in Dahlem Herstellung von Plasma-Substrat Injektion an Kaninchen)

„Kennwort: Spezifische Eiweißkörper“.
„Als Mitarbeiter in diesem Forschungszweig ist mein Assistent Dr.med. et Dr. phil. Mengele eingetreten. Er ist als Hauptsturmführer und Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt. Mit Genehmigung des Reichsführers SS werden anthropologische Untersuchungen an den verschiedensten Rassengruppen dieses Konzentrationslagers durchgeführt und die Blutproben zur Bearbeitung an mein Laboratorium geschickt“. Prof. von Verschuer in einem Bericht vom 20. 3. 1944 an die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG.

„Mengele ist nicht aus Mordlust in Auschwitz, sondern als Genetiker. Als Forscher des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Sein Vorgesetzter Verschuer ist der berühmteste Zwillingsforscher seiner Zeit. Auschwitz ist das ideale Experimentierfeld. Nirgends ist der Zugriff auf menschliche Meerschweinchen leichter, nirgends stehen mehr Menschenobjekte zur Verfügung“.  Ernst Klee, Auschwitz, Die NS-Medizin und ihre Opfer, S.Fischer Verlag, 1997. S. 488.

Eduard Wirths, Mengeles Vorgesetzter in Auschwitz: „Hier bot sich ihm die einmalige Chance, die empirische Grundlage für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte der wissenschaftlichen Arbeit und einer großen Universitätskarriere zu legen, und Mengele war entschlossen, sie zu nutzen“. Mengele habe „eifrigst die kurze ihm verbliebene dienstfreie Zeit dazu benützt, sich weiterzubilden [und] in seiner Arbeit unter Auswertung des ihm auf Grund seiner Dienststellung zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Materials der anthropologischen Wissenschaft einen wertvollen Beitrag geliefert“. Ulrich Völklein, Josef Mengele – der Arzt von Auschwitz. Steidl, Göttingen 1999

Mengele war gut in die scientific community eingebunden, seit 1937 Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Rassenforschung, Teilnahme an jährlichen Treffen.

Über Verschuer erhielt Mengele Einladungen zu internationalen wissenschaftlichen Tagungen. Als einer von 32 deutschen Wissenschaftlern Teilnehmer am Internationalen Kongress für Anthropologie und Ethnologie in Kopenhagen. 

Nach der NS-Zeit: Flucht nach Südamerika, erst am 25. Februar 1959 erlässt die Staatsanwaltschaft Freiburg im Breisgau, welche die Ermittlungen übernommen hatte, Haftbefehl. Aberkennung beider Doktorgrade 1960 bzw. 1961, Unterstützung durch Verwandtschaft und „Odessa” (Organisation der ehemaligen/entlassenen SS-Angehörigen) und Angehörige des Vatikans. Ab 1973 meist gesuchtester NS-Verbrecher, schwache Ergreifungsbemühungen, Ermittlungspannen und Standortwechsel Mengeles führen zu keiner Festnahme, Mengele erleidet am 7. Februar 1979 während eines Badeurlaubs in Brasilien einen Schlaganfall und stirbt. Eine DNA-Analyse seiner Gebeine räumt 1992 letzte Zweifel aus.
https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Mengele
https://epidemiologie.charite.de/institut/geschichte/sozialmedizin_1920_bis_1945/
http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/KWG/Ergebnisse/Ergebnisse3.pdf
https://psy-ccm.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc15/psy-ccm/ns_zeit.pdf

Rassenkunde“,fußt auf den Gedankengängen von Arthur de Gobineau und Houston Stewart Chamberlain aus dem 19. Jahrhundert. Systematisch wurde sie von den Nationalsozialisten zu einer „Wissenschaft“ ausgebaut und Institute sowie Lehrstühle eingerichtet, etwa in Berlin, Königsberg, Greiswald, Frankfurt/M. und Jena. In Köln bestand ab 1940 das „Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene” unter Prof. Ferdinand Claussen. Rassenkunde war ab 1926 Gegenstand in den Fachzeitschriften „Volk und Rasse”, ab 1933 in „Neues Volk” und ab 1935 in „Zeitschrift für Rassenkunde”. Ferner erschien ab 1934 „Der Erbarzt” als Beilage zum „Deutschen Ärzteblatt“. In der Schule wurde Rassenkunde zum „Unterrichtsprinzip” erhoben, im Fach Biologie wurde sie in die Unterrichtspraxis übernommen. Angestrebt wurde die „Reinrassigkeit” des Deutschen Volkes sowie seine „Erbgesundheit”. Damit bereitete sie Zwangsmaßnahmen gegen „Erbkranke”, „Minderwertige” und „Gemeinschaftsunfähige” vor. Führende Vertreter waren Eugen Fischer, Fritz Lenz und Hans F. K. Günther, dessen Buch „Rassenkunde des Deutschen Volkes” (1922) in zahlreichen Auflagen erschien.

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